Sternenkind

Es gibt kein unglaublicheres Gefühl als wenn man zum ersten Mal auf dem Ultraschall sieht, dass im eigenen Körper ein zweites kleines Herz schlägt. Zu beobachten, wie aus der kleinen, kaum definierbaren Blase langsam ein winziger, vollkommener Mensch wird. Der Moment, in dem das Herz seine Tätigkeit aufnimmt. Keine Frage hat mich je mehr bewegt als die Frage, ob ich das Geschlecht meines Kindes wissen möchte.

Mir persönlich machte die Veränderung damals fürchterliche Angst. Plötzlich sollte in meinem Körper, der doch gefühlt gestern erst zum Körper einer Frau wurde, ein Kind heranwachsen. Ein kleiner Mensch, ein richtiger, kleiner Mensch! Mich ängstigte dieser Gedanke sehr. Und obwohl für mich klar war, dass ich nicht abtreiben würde, war ich nicht begeistert von den Veränderungen, die da langsam geschahen. Und dann.. „Sehen Sie das kleine Herz schlagen? Das ist das Herz Ihres Kindes!“. Dieser Moment veränderte alles. Denn in diesem Moment verliebte ich mich unwiderruflich in diese kleine Blase, die da meinen Körper in Beschlag nahm. In diesem Moment fühlte ich zum ersten Mal mütterliche Gefühle für das Kind, das da in mir heranwuchs. Für meine kleine Tochter. Plötzlich schien alles so klar, so einfach. Es würde schwer werden, ja. Aber dieses Kind würde immer geliebt werden. Bedingungslos und ehrlich. Ich war mit mir und meiner Entscheidung im Reinen. Es folgten ein paar glückliche Wochen. Voller Träume und Vorfreude.

Und dann, plötzlich.. Blut. Nur Blut und furchtbare Krämpfe. Und alles überdeckende Panik. Noch am selben Tag bestätigte mir der Ultraschall, was ich längst gefühlt hatte.. kein Herzschlag. Kein Kind. Die kleine Blase..weg.

Ich habe meine kleine Tochter verloren, noch bevor ich überhaupt die Möglichkeit hatte, sie auf dieser Welt willkommen zu heißen. Ich hatte nicht die Möglichkeit, mein Kind im Arm zu halten. Meine Eltern werden ihre erste Enkeltochter niemals kennen lernen. Meine Tochter wurde ein kleiner Stern. Ein Teil von mir ist gegangen, für immer. Ein Teil von mir ist am 21.08.2012 gestorben.

Ich habe lange gebraucht, um es halbwegs zu verarbeiten. Und so gerne ich das tun würde, aber ich schreibe auch nicht für die anderen Mütter von Sternenkindern.. ich schreibe nur für mich. Um in meinem Verarbeitungsprozess voran zu kommen. Fast ein Jahr nach meiner Fehlgeburt ließ ich mir den Namen meiner ungeborenen Tochter tätowieren, möglichst nah ans Herz. Das war der erste Schritt von vielen. Inzwischen haben wir Januar 2014, meine Tochter wäre diesen Monat ein Jahr alt geworden. Und ich bin noch weit davon entfernt, weiterzumachen. Aber es wird. Langsam. Es half mir, mit anderen Betroffenen zu sprechen, es half mir, zu träumen. Ab und zu erlaube ich mir, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn meine Kleine jetzt bei mir wäre. Beruhigend ist der Gedanke, dass ich mein Kind geliebt habe, dass ich es liebe und immer lieben werde. Und mein fester Glaube daran, dass meine Tochter nun ein kleiner Stern ist und vom Himmel aus über mich wacht.

Es ist ein langer Weg. Aber ich habe angefangen, ihn zu gehen.